Von schönsten Wesen wünschen wir Vermehrung
von Pia Klapper (2011)
Aus einem Sonett von William Shakespeare hat der Künstler Wolfgang Groh den Titel seiner jüngsten Werkgruppe entnommen. Als schönste Wesen, von denen die Rede ist, versteht der Künstler jene Vögel, die seit ihrer Kenntnis ab dem 16. Jahrhundert die Menschen faszinierten und zu den verstiegendsten Theorien hinsichtlich ihres Körperbaues und ihrer Lebensweise animierten. Der Superlativ als Ausdruck höchster ästhetischer Wertschätzung gilt dem Paradiesvogel. Er ist das Motiv und das Material der jüngsten Arbeiten.
Früher wurde der Paradiesvogel auch als Luftvogel bezeichnet, da selbst in wissenschaftlichen Abhandlungen und wider besseren Wissens die Vorstellung verbreitet war, er habe keine Füße, fliege in großen Höhen und ernähre sich ausschließlich von Tautropfen. Dieser Glaube hatte seinen Grund in den Konservierungsmethoden der Jäger. Sie ließen die abgezogene Haut der Paradiesvögel so sehr wie möglich schrumpfen, wodurch die Prachtfedern noch besser zu Geltung kamen. Zusätzlich schnitten sie die für Schmuckzwecke unergiebigen Teile wie Füße und Flügel ab. In dieser reduzierten Form gelangten die ersten Paradiesvogelbälge nach Europa.
In den Kunst- und Wunderkammern des 16. und 17. Jahrhunderts gehörten Paradiesvogelbälge zum unverzichtbaren Inventar. In diesen Sammlungen waren Kunst und Naturwissenschaften noch ununterscheidbar. Erst in den folgenden Jahrhunderten haben sich die Disziplinen Kunst und Wissenschaft aus der gemeinsamen Wurzel der Wunderkammer heraus auseinander differenziert. Naturgegenstände in realiter hatten damit in der Kunst keinen Platz mehr, was zählte war ihre Darstellung als Bild. In der Wissenschaft war das anders. Ihr dienten die Naturgegenstände als Forschungs- und Schauobjekte. Aber im Ergebnis entstand auch hier ein Kunstprodukt: Die Natur als Kunstprodukt der Wissenschaftler. Dies wird am Beispiel Paradiesvogel sichtbar - an den unhaltbaren Theorien, an den erfundenen Spezies und kuriosen Abbildungen, auf die sich Groh immer wieder bezieht. Nicht umsonst sind originale Kupferstiche oder Holzschnitte aus wissenschaftlichen Büchern ab dem 17. Jahrhundert wichtiger Bestandteil seiner Arbeiten.
Grohs Werkgruppe thematisiert aber nicht nur das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst allein. Das Material ist kein wissenschaftliches Präparat, keine dermoplastische Nachahmung der Natur. Das Material ist Hutschmuck. Als Hutschmuck hat der Paradiesvogel um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die Modewelt entzückt und bestimmt. Er war Inbegriff des exotischen Naturschönen und Mittel zur Repräsentation und sozialen Abgrenzung. Diese gesellschaftliche und damit auch ökonomische Verwertbarkeit als Konsumgut brachte ihn an den Rand der Ausrottung. Durch die Entnahme aus der Natur und seine Transformation in die Künstlichkeit des Hutschmucks visualisiert der Paradiesvogel das Verhältnis von Schönheit und Tod eindringlich.
Ganz im Sinne eines Vanitasmotivs verweisen die Vögel in ihrer artifiziellen Form als schmückendes Luxusobjekt auf die Vergänglichkeit alles Irdischen im Allgemeinen. Sie verweisen im Besonderen aber auch auf jene modebewussten Frauen, die aus unterschiedlichsten Motiven und Erwartungen dieses Vanitasmotiv auf ihrem Kopf präsentierten. Da das, was beim Vogel möglich war und ist, nämlich den Körper zu erhalten und ihn der Vergänglichkeit zu entziehen, beim modernen Menschen nicht mehr als zweckmäßig erachtet wird, offenbart der von Groh in seinen Arbeiten verwendete Hutschmuck die Absenz der ehemaligen Trägerinnen eindringlich. Von besonderer Qualität ist dabei aber, dass jene längst verstorbenen Frauen in ihrer sichtbaren Abwesenheit gleichzeitig auch präsent erscheinen. Dieses wunderbare Paradoxon der abwesenden Anwesenheit verbindet der Hutschmuck obendrein mit sinnlichem Genuss.
Die hier verhandelten Arbeiten thematisieren neben allem wissenschaftlichen und historischen Bezügen noch etwas Weiteres. Es ist das subjektive Verhältnis des Künstlers zum Material. Darin enthalten sind Erinnerungen an die Träume seiner Kindheit, an seine Reisen und Abenteuer im Kopf und die Einsicht, dass dorthin kein Weg mehr zurück führt.
Aus den verwobenen Bereichen von Wissenschaft und Kunst, von Naturobjekten und Modeästhetik, von Historie und Fiktion entwickeln die Arbeiten ihre Spannung. Die nostalgisch anmutende Ästhetik und der Bezug auf eine Wissenschaftlichkeit aus früheren Tagen ist dabei die Form der künstlerischen Aktualisierung. Die Paradiesvogelbälge sind das Gegenteil der immer unanschaulicheren und abstrakteren Welterklärungsmodelle. Durch ihre sinnliche Präsenz verweisen sie als Bilder auf den existentiellen, anthropologisch konstanten Prozess der Erforschung, Eroberung und Umformung von Natur. Die Bedürfnisse des Menschen sind dabei das Maß aller Dinge!